Grenzen der Privatisierung
Grenzen der Privatisierung
Seit über zwei Jahrzehnten ist die Privatisierung auf Siegeszug - mit dem erklärten Ziel, die Menschheit aus dem Elend zu befreien. Sie hat in der Tat etwas Befreiendes und wirkt manchmal segensreich, doch leider tut sich die Fachwelt schwer damit, auch die Schattenseiten wahrzunehmen.
Dieses Buch präsentiert sowohl positive als auch negative Beispiele, und es versucht, politische Schlussfolgerungen aus diesen Erfahrungen zu ziehen. Dabei entzaubert es die weit verbreitete Vorstellung, Privatisierung sei generell Fortschritt und bringe Wachstum.
Wenn der Staat verkaufen mussDie Bilanz der Privatisierungswelle ist gemischt. Aber eines ist sicher: Schwache Politiker verscherbeln die Interessen der Bürger gleich mit von Erhard EpplerJede geschichtliche Epoche hat ihre Tendenzen, ihre Zeitströmungen, ihre Moden. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte dazu – und das keineswegs nur im kommunistischen Osten – die Sozialisierung von Banken, Kohlengruben, Stahlwerken. Allerdings sprach man im Westen, genauer in Westeuropa, meist von Nationalisierung.Seit den achtziger Jahren hat sich der Wind gedreht.Vor allem seit der Implosion des Kommunismus wird nun privatisiert, und zwar keineswegs nur da, wo nach dem Krieg nationalisiert wurde, sondern auch da, wo lange Zeit das öffentliche Eigentum als selbstverständlich galt: bei Post, Telefon, Bahn, bei kommunalen Versorgungsbetrieben, bei Wasser, Gas, Müllabfuhr. In den USA ergriff die Privatisierungswelle auch die Gefängnisse – das beginnt bei uns erst – und die innere Sicherheit. In Kalifornien kommen auf einen Polizisten schon vier Angestellte privater Sicherheitsfirmen, Tendenz steigend.Wie das bei Moden so ist, haben sie einen ideologischen Hintergrund. Sozialisierungen wurden durchgesetzt, um private Machtballungen zu verhindern. Privatisierungen sind schick, weil privates Wirtschaften dem öffentlichen angeblich immer überlegen ist.Inzwischen zeigen sich Risse in den ideologischen Fronten. Milton Friedman, der jüngst verstorbene Vater der Marktradikalen, hatte den ehemals kommunistischen Ländern einst nur dreierlei geraten: »Privatisieren! Privatisieren! Privatisieren!« Vor kurzer Zeit aber übte er Selbstkritik in Bezug auf seine Reformstrategie: »Es hat sich gezeigt, dass Rechtsstaatlichkeit wichtiger ist als Privatisierung.«Der Club of Rome, der 1972 die Studie über »Grenzen des Wachstums« herausgab, versucht, Grundsatzfragen jenseits der Ideologien anzugehen. So gab er einer Arbeitsgruppe den Auftrag, Privatisierungen rund um den Globus zu untersuchen, also zu prüfen, was sie der Wirtschaft des Landes, besonders den betroffenen Menschen, an Vorteilen und Nachteilen, Erleichterungen oder Erschwernissen gebracht haben. Heraus kam eine Studie, Limits to privatization, etwa 400 Seiten stark, verantwortet von Wissenschaftlern um Ernst Ulrich von Weizsäcker, Oran R. Young und Matthias Finger. Die englische Ausgabe von 2005 trug den Untertitel: How to avoid too much of a good thing. In der deutschen Ausgabe, die 2006 auf den Markt kam, ist dieser Untertitel übersetzt: »Wann ist des Guten zu viel?« Diese deutsche Ausgabe ist nicht einfach die Übersetzung der englischen. Das Team hat weiter am Thema gearbeitet. Manches wurde neu gegliedert und mit Grafiken versehen.Geblieben ist die Methode. Verschiedene Autoren untersuchten einzelne Privatisierungen, etwa bei der Wasserversorgung von La Paz – wo schon die deutsche Entwicklungshilfe tätig war.Auch Thames Water in England ist ein Thema, ebenso die Abwasserversorgung in Budapest. Gelungene und misslungene Projekte wechseln sich ab, etwa die erfolgreiche Privatisierung der niederländischen Post und die missratene der britischen Bahn.Andere Privatisierungen, meist aus der Finanznot des Staates entstanden, lassen sich in ihren Auswirkungen noch nicht übersehen. Aufgrund des Gesetzes 112/2002 hat der ehemalige italienische Regierungschef Silvio Berlusconi – unter Federführung des Wirtschaftsministeriums – während seiner Amtszeit Kulturgüter seines gesegneten Landes verkaufen lassen, und zwar meist an Investmentgesellschaften wie die amerikanische Carlyle Group. Da mit dem Verkauf kaum Bedingungen verknüpft waren, hat Berlusconi gerade nicht erreicht, was ihm vorschwebte: dass nämlich private Besitzer mehr Geld und Zeit aufwenden, um die Villen und Denkmäler zu pflegen. Die Investmentgesellschaften wollten das erstaunlich billig Erstandene rasch mit Gewinn weiterveräußern. Man darf gespannt sein, ob die heutige Regierung Prodi dem nur zusieht.Das italienische Beispiel ist einer der Belege für eine allgemeine Folgerung, die am Schluss der Studie nachzulesen ist: »Erfolgsgeschichten haben eines gemeinsam: einen starken Staat, der die Spielregeln definiert und notfalls durchsetzt.« Was dagegen immer misslinge, sei eine Kombination von Privatisierung und Deregulierung. Nur wo der Staat (etwa die Kommune) vorher vertraglich eindeutig die Interessen der Öffentlichkeit festgeschrieben habe, seien Privatisierungen gelungen. Mit anderen Worten: Privatisierung und Deregulierung ergänzen sich nicht, sie widersprechen einander. Privatisierung verlangt neue Regulierung.Damit zusammen hängt eine andere Folgerung: Nur ein Staat, der sich fähige Juristen leisten kann, sollte sich mit Konzernen auf Privatisierungsgespräche einlassen. Wo Staaten, wie in vielen Entwicklungsländern, nicht »auf Augenhöhe verhandeln« können, geht die Privatisierung regelmäßig zu Lasten der Schwachen. Sie hat, das ist ein anderer Schluss aus den Beispielen, nur dann einen Sinn, wenn sie zu mehr Wettbewerb führt. Wo aus öffentlichen einfach private Monopole werden – und das ist der Fall, wo »die Verteilungsnetze der Natur der Sache nach nur in einer Hand sein können« – , werden früher oder später die Kunden geschröpft.Wo Privatisierung zu höherer Effizienz führt, und das geschieht oft, geht dies vielfach auf Kosten der angebotenen Dienstleistungen. Gab es in Kommandowirtschaften Schlangen vor den Gemüseläden, so finden wir sie heute vor Post- und Bahnschaltern.Nicht immer ist Wettbewerb hilfreich. Dies zeigt das Beispiel der deutschen Gebäudeversicherungen.Anstelle des staatlichen Monopols konkurrieren heute private Versicherungen. Das Geld, das früher aus den Überschüssen der staatlichen Versicherung an die freiwilligen Feuerwehren floss, wird jetzt für Werbung und für Vertreter der einzelnen Versicherungen ausgegeben. Das Fazit der Autoren: »Wenn im Versicherungsgeschäft selbst keine Effizienzreserven stecken, ist das staatliche Monopol einfach die kostengünstigste Durchführung«.Betrachtet man Privatisierung allein unter dem Gesichtspunkt der ökonomischen Effizienz, so ist die Bilanz also durchwachsen. Vor allem bei Telekommunikation und Verkehr finden die Wissenschaftler des Club of Rome manche geglückte Privatisierung, mitunter auch funktionierende öffentlich-private Partnerschaften. Volkswirtschaftlich schlagen die effizienteren, schlankeren Betriebe allerdings nur zu Buche, wenn sie nicht einfach die Arbeitslosenquote erhöhen. Misserfolge sind dort programmiert, wo einfach privatisiert wird, weil es Mode ist oder weil die Schulden der Kommune und des Landes die Politiker dazu zwingen. Die Privatisierung aus einer schwachen Position heraus kommt die Allgemeinheit meistens teuer zu stehen.Die Studie fragt auch, was Privatisierungen für die Demokratie, zumal die kommunale Demokratie bedeuten. In Deutschland, besonders im Osten, haben die Parteien wachsende Mühe, Kandidaten für Kommunalwahlen zu finden: Altgediente Kommunalpolitiker lassen sich nicht mehr aufstellen, weil nach all den Privatisierungen der Rat so wenig zu entscheiden hat, dass es sich nicht mehr lohnt, Zeit und Nerven zu investieren. Und in den fragilen Staaten im Süden der Welt ist es eben ein Unterschied, ob sich ein paar Dörfer zusammentun, um eine Wasserversorgung zu schaffen, oder ob ein internationaler Konzern dies für sie übernimmt. Im einen Fall lernen und erfahren die Menschen, was sie gemeinsam leisten können und müssen, im anderen Fall sind sie eben das, was sie immer waren, zumal in der Kolonialzeit: Objekte fremden Handelns. So kommt die Studie zum Ergebnis, »dass die Privatisierung die Demokratie schlicht schwächt«.Fazit: Es ist gut, dass künftige Politiker, zumal Kommunalpolitiker, ehe sie eine Privatisierung beschließen, in ein paar Stunden nachlesen können, was da zu beachten ist, was dafür, was dagegen spricht, und warum es immer gefährlicher ist, Moden zu folgen.
Erhard Eppler, Die Zeit, Seite 35
"Ein wirklich spannendes Buch!"
FORUM Kommunalpolitik
"Weizsäcker und seine fast fünfzig Co-Autoren suchen in dem exzellenten Sammelband nach dem Unterschied zwischen gescheiterter und gelungener Privatisierung."
Süddeutsche Zeitung
"Damit wird dieses Buch zur Pflichtlektüre für all jene, die Interesse an einer seriösen Auseinandersetzung zum Thema Privatisierung haben."
Wirtschaft und Gesellschaft
Ernst Ulrich von Weizsäcker
Oran R. Young
Matthias Finger
El Hassan Bin Talad
Marianne Beisheim
Harald G. Woeste
ISBN | 978-3-7776-1444-1 |
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Medientyp | Buch - Kartoniert |
Auflage | 2. |
Copyrightjahr | 2007 |
Verlag | S. Hirzel Verlag |
Umfang | 376 Seiten |
Abbildungen | 49 s/w Abb., 3 s/w Tab. |
Sprache | Deutsch |